Immer wieder versuchen Gemeinden mit vorgeschobenen Veränderungssperren die Genehmigung von Windenergieanlagen zu verhindern. Das ist unzulässig, wie nun das OVG entschied. Andreas Lahme, Fachanwalt für Verwaltungsrecht erklärt, warum das so ist.
Flächennutzungspläne sind aufwändig - doch beliebt, um Windenergieanlagen zu verhindern
Was tut eine Gemeinde, die sich mit einem Genehmigungsantrag für Windenergieanlagen (WEA) auf ihrem Gemeindegebiet konfrontiert sieht, der nach Auffassung der Genehmigungsbehörde womöglich auch noch positiv bescheidungsfähig ist, die aber WEA auf ihrem Gebiet unbedingt verhindern will? Die Aufstellung eines Flächennutzungsplans mit Konzentrationszonen ist zeitintensiv und mit erheblichem Arbeits- und Kostenaufwand verbunden. Auch mit der (durchaus beliebten) Zurückstellung des Genehmigungsantrags lässt sich nur ein bis zwei Jahre Zeit gewinnen, bis dahin ist der Flächennutzungsplan (FNP) möglicherweise nicht fertig. Auch ist ein Zurückstellungsantrag nur innerhalb von 6 Monaten nach der Information der Gemeinde über den Genehmigungsantrag durch die Genehmigungsbehörde möglich.
Das Steuern von Windenergieanlagen ist in Ordnung – Ausschließen hingegen nicht
Vor allem aber ist auch ein FNP mit Konzentrationszonen nur sehr bedingt zur Verhinderung von Windenergieanlagen geeignet, denn § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erlaubt nur die räumliche Steuerung der Windenergienutzung, nicht jedoch deren vollständigen Ausschluss. An den fehlenden „substanziellen Entwicklungsmöglichkeiten“ ist bekanntlich schon so mancher FNP gescheitert. Auch das Ausruhen auf einem – zum Teil sehr – alten FNP, der ggf. zwar unbestreitbar eine rechtswidrige Feigenblatt- oder Alibiplanung enthält, aber nie angefochten wurde, ist jedenfalls seit der Rechtsprechung des OVG NRW zu den sogenannten „Schlussbekanntmachungsmängeln“ keine Option mehr. Danach sind auch solche Pläne heute noch angreifbar, für die die sonst geltenden Rügefristen längst abgelaufen sind, wenn z.B. auf die Ausschlusswirkung außerhalb der Konzentrationszonen nicht ordnungsgemäß hingewiesen wurde (siehe zum Ganzen Blog-Beitrag vom 24.09.2019).
Mit Alibi-Flächennutzungsplänen ist nun Schluss
In dieser „Notlage“ sind nun einzelne Kommunen auf folgende Idee gekommen (bzw. durch externe Rechtsberater gebracht worden): Es wird der Beschluss gefasst, einen Bebauungsplan aufzustellen, der weite Teile des Außenbereichs und vor allem die Gebiete erfasst, in denen die Errichtung von WEA droht. Natürlich soll aber der Außenbereich nun nicht großflächig bebaut werden. Deshalb kommt man auf die Idee, eine „Schwerpunktzone für Naherholung, Freizeitnutzung und Fremdenverkehr“ zu entwickeln. Dabei soll regelmäßig nur ein kleiner Teil des Bebauungsplangebietes mit z.B. touristischen Einrichtungen, Gastronomiebetrieben, Aussichtsplattformen oder -türmen etc. bebaut werden, während das gesamte übrige zu überplanende Gebiet ausdrücklich von Bebauung freizuhalten und der „naturnahen Erholung“ vorbehalten bleiben soll.
Konkretere Vorstellungen existieren in dem frühen Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses für den Bebauungsplan nicht. Um die aus Sicht der Gemeinde drohende Genehmigung der dort geplanten WEA sofort und wirksam zu verhindern, wird der zu beplanende Bereich mit einer Veränderungssperre gemäß § 14 BauGB belegt. Diese hat eine Geltungsdauer von bis zu 2 Jahren und führt ggf. dazu, dass Genehmigungsanträge abgelehnt oder zumindest nicht positiv beschieden werden.
Einer solchen Vorgehensweise hat das OVG NRW in einigen aktuellen Entscheidungen nun einen Riegel vorgeschoben. Mit Beschlüssen vom 23.06.2020 (2 B 581/20.NE) und vom 17.12.2020 (2 B 1249/20.NE) hat es die von den jeweiligen Gemeinden verhängten Veränderungssperren bis zur Entscheidung über den von den jeweiligen Windenergie-Projektierern gestellten Normenkontrollantrag außer Vollzug gesetzt. Mit Urteil vom 04.12.2020 (2 D 50/20.NE) hat es eine der beiden Veränderungssperren auch bereits im Hauptsacheverfahren für unwirksam erklärt.
Eine Veränderungssperre ist nur zulässig, wenn der Bebauungsplan ein Mindestmaß an Inhalt hat
Die Begründungen aller drei Entscheidungen sind in weiten Teilen inhaltsgleich. Zunächst stellt das OVG fest, dass die Veränderungssperren bereits aus formellen Gründen offensichtlich unwirksam sind. Beide Gemeinden hatten die Beschlüsse zur Aufstellung ihrer Bebauungspläne und zur Verhängung der Veränderungssperren per Dringlichkeitsentscheidung gemäß § 60 Abs. 1 GO NRW gefasst, weil sie befürchteten, dass die Genehmigungen für die geplanten WEA bereits vor der nächsten turnusmäßigen Sitzung des Gemeinderats erteilt werden könnten. Dabei sind den Gemeinden – zum Teil unterschiedliche – Verfahrensfehler unterlaufen. Vor allem aber fehlte es in beiden Fällen an der notwendigen, ordnungsgemäßen Ausfertigung der Satzungsbeschlüsse.
Noch interessanter sind aber die Feststellungen des OVG zur materiellen Rechtswidrigkeit. So lagen nach Auffassung des Senats in beiden Fällen die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nicht vor. Das OVG stellt zunächst klar, dass eine Veränderungssperre nur verhängt werden kann, wenn die Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wenn der Bebauungsplan nicht die Festsetzung eines bestimmten Gebietstyps i.S. der Baunutzungsverordnung zum Ziel hat, sondern sich auf sonstige Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB beschränken soll, ist nach Auffassung des OVG ein hinreichender Konkretisierungsgrad erst dann erreicht, wenn sich den Planungsvorstellungen ein hinreichend konkreter Gebietsbezug dergestalt entnehmen lässt, für welche Teile des Plangebietes welche dieser Festsetzungen in Betracht gezogen wird.
Ohne positives Planungskonzept keine Veränderungssperre
Wo die als solche grundsätzlich zulässige Nebenwirkung der Verhinderung unerwünschter Bebauung zum eigentlichen Zweck des Bebauungsplans wird und allenfalls sie es ist, die gewünscht wird und städtebaulich „erforderlich“ sein könnte, kommt die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht in Betracht. Obwohl die jeweiligen Gemeinden in ihren Aufstellungsbeschlüssen das jeweils künftige Bebauungsplangebiet durchaus in verschiedene Teilbereiche untergliedert und verschiedenen Tatbeständen des BauGB zugeordnet hatten, ergab sich für das OVG daraus sehr deutlich, dass die Gemeinden in Wahrheit eben keinerlei positives Planungskonzept verfolgten.
Vielmehr sollten die jeweiligen Bebauungsplangebiete nicht nur während der Geltungsdauer der Veränderungssperre, sondern auch nach den beabsichtigten Festsetzungen des späteren Bebauungsplans zum weitaus größten Teil in dem Zustand erhalten bleiben, in dem sie sich bereits befanden. Das OVG kam deshalb zu dem Ergebnis, dass die Gemeinden gerade kein positives Planungskonzept verfolgten, das mit einer Veränderungssperre hätte gesichert werden können.
Vielmehr handelte es sich nach Auffassung des Gerichts in beiden Fällen „offensichtlich“ um eine reine Verhinderungsplanung. In diesem Zusammenhang weist das OVG mit Blick auf den Zweck des gemeindlichen Vorgehens, die bevorstehende Erteilung einer Genehmigung für WEA zu verhindern, ausdrücklich auf folgenden Aspekt hin: „Im vorliegenden Zusammenhang kommt zudem dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass der Gesetzgeber für das Anliegen der Steuerung im Außenbereich privilegierter Nutzungen das Instrument der Konzentrationszonenplanung vorsieht, das jedenfalls nicht durch eine von dessen Anforderungen losgelöste weiträumige formale Überplanung des Außenbereichs durch einen gewissermaßen flächennutzungsplanersetzenden Bebauungsplan konterkariert werden darf.“
Wieder einmal ist das OVG NRW also dem Versuch einzelner Gemeinden entgegengetreten, die für einen solchen Zweck nicht vorgesehenen Instrumente des BauGB für die (nahezu) vollständige Verhinderung von nach der Entscheidung des Bundesgesetzgebers im Außenbereich privilegierten Windenergieanlagen zu missbrauchen. Es ist schade, dass dies notwendig ist, aber gut, dass es funktioniert.
Ansprechpartner

Andreas Lahme
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Engemann und Partner