Mit dem Ziel, die Energieversorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten, hat der Deutsche Bundestag am 30.09.2022 das Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften beschlossen, das am 07.10.2022 den Bundesrat passiert und mit Verkündigung im Bundesgesetzblatt vom 12.10.2022 nur wenige Tage später bereits wirksam geworden ist. Hintergrund der Gesetzesnovelle ist die Erkenntnis des Gesetzgebers, dass aufgrund der angespannten Lage auf den Energiemärkten, die durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine noch einmal drastisch verschärft worden ist, weitere Maßnahmen zur Reduzierung des Gasverbrauchs und zur Sicherstellung der Stromversorgung erforderlich sind.
Vereinfachtes Genehmigungsverfahren für Leistungssteigerungen durch Updates
Das genannte Gesetz enthält dabei für die Windbranche einige interessante und praxisrelevante Neuregelungen. So wird z.B. in § 16b Abs. 7 BImSchG ausdrücklich klargestellt, dass Änderungen am Anlagentyp bzw. ein Anlagentypwechsel von genehmigten, aber noch nicht errichteten WEA keiner Neugenehmigung bedürfen, sondern lediglich einer Änderungsgenehmigung, mit der Folge, dass sich hierdurch der Prüfumfang im Genehmigungsverfahren deutlich reduzieren wird. Gleiches gilt nach § 16b Abs. 8 BImSchG für Leistungssteigerungen von WEA durch bloße Software-Updates, die nunmehr ebenfalls deutlich schneller genehmigt werden können.
Weniger Schattenabschaltung und ein höherer Schallpegel zulässig
Für Betreiber von WEA äußerst praxis- und ertragsrelevant ist vor allem aber der neu geschaffene § 31k BImSchG. Hiernach soll die zuständige Immissionsschutzbehörde Abweichungen von einzelnen, in der den Betrieb der WEA zugrunde liegenden Genehmigung enthaltenen Anforderungen an Geräusche zur Nachtzeit sowie an Schattenwurf zulassen, um damit vor dem Hintergrund der aktuellen Gasmangellage im Ergebnis die Leistung bzw. Strommenge einer WEA zu erhöhen. Dabei geht es sowohl um die Aufhebung der Verpflichtung zum Einsatz einer Schattenabschaltung als auch um die Erhöhung der Leistung einer WEA zur Nachtzeit, soweit sich der Schallpegel der Anlage in dieser Zeit um maximal 4 dB gegenüber dem bisher genehmigten Wert erhöht. Nicht erfasst sind dagegen andere Betriebsbeschränkungen (z.B. aus artenschutzrechtlichen Gründen); diese bleiben von § 31k BImSchG unberührt und sind mithin auch nach einer nach § 31k BImSchG erteilten Abweichung weiterhin zu beachten.
Abweichungen müssen weiterhin beantragt werden
§ 31k BImSchG greift jedoch nicht automatisch; vielmehr muss jeder Anlagenbetreiber selbst tätig werden und die bezüglich seiner WEA zulässigen Abweichungen bei der zuständigen Immissionsschutzbehörde beantragen. Äußert sich die Behörde innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags nicht, so gilt die beantragte Abweichung unter bestimmten Voraussetzungen als zugelassen. Die Anlage darf in diesem Fall bzw. nach einer positiven Abweichungsentscheidung befristet bis zum 15. April 2023 ohne Schattenabschaltungen und mit deutlich geringeren nächtlichen Schallbeschränkungen, möglicherweise sogar ohne nächtliche Schallbeschränkungen, betrieben werden.
Antragsformulare für eine schnellere Abweichgenehmigung entwickelt
Um die zu erwartende hohe Anzahl von Abweichungsanträgen nach § 31k BImSchG bearbeiten zu können, sind zwischenzeitlich bereits Antragsformulare entwickelt worden, die eine schnellere und erleichterte Abwicklung der Verfahren zur Erteilung einer Abweichung ermöglichen sollen. Ob die erhebliche Anzahl entsprechender Abweichungsanträge von den Genehmigungsbehörden mit dem vorhandenen Personal trotz alledem zeitgerecht abgearbeitet werden können oder ob in vielen Fällen letztlich nicht doch die gesetzliche Fiktion der Abweichung nach Ablauf der Monatsfrist eintritt, bleibt abzuwarten; erste Erfahrungen aus unserem Hause zeigen aber, dass sich einige Genehmigungsbehörden um eine zeitnahe Abarbeitung bemühen, um den WEA-Betreibern die Sicherheit eines Abweichungsbescheides anstatt der gesetzlich vorgesehenen Zustimmungsfiktion zu geben.
Sonderfall Vergütung nach einstufigem Referenzertragsmodell
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass für WEA, die unter dem einstufigen Referenzertragsmodell vergütet werden, sich im Falle der befristeten Außerkraftsetzung von Schattenabschaltungen und nächtlichen Schallreduzierungen aufgrund des neu geschaffenen § 31k BImSchG temporär die Eigenschaften des Standortes ändern können. Es kommt zu einer Erweiterung der Energiemengen, für die grundsätzlich die Einschränkung aus genehmigungsrechtlichen Gründen galt. Bei der Ermittlung des Standortertrages ist für den (schlüssigen) Nachweis mithin darauf zu achten, dass die Änderungen zum Anlagenbetrieb dokumentiert werden, insbesondere wenn der Betrieb ohne Bescheidung des Abweichungsantrags nach Eintritt der gesetzlichen Fiktion geändert wird (Genehmigungsauflagen und nachträgliche Änderung, die den Energieertrag betreffen).
Sorgfältige Antragsprüfung durch Antragsteller dringend empfohlen
Abschließend ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass die gesetzliche Fiktion einer Zulassung der Abweichung nach § 31k Abs. 3 BImSchG nur dann eintritt, wenn der Abweichungsantrag hinreichend bestimmt ist und die Voraussetzungen des § 31k Abs. 1 BImSchG auch tatsächlich eingehalten sind. Eine Abweichung gilt mit anderen Worten folglich nicht als erteilt, sofern der Antrag diesbezüglich fehlerhafte Angaben enthält; in diesem Fall könnte die Situation eintreten, dass ein WEA-Betreiber rechtswidrig handelt, wenn er bestehende Schattenabschaltungen und/oder nächtliche Schallreduzierungen außer Kraft setzt, obwohl die gesetzliche Zustimmungsfiktion des § 31k Abs. 3 BImSchG nicht greift und ihm auch keine positive Entscheidung der Immissionsschutzbehörde vorliegt. Dies sollte unbedingt vermieden werden, sodass sich vor Einreichung des Abweichungsantrags eine sorgfältige Prüfung des Antrags empfiehlt, insbesondere hinsichtlich des angegebenen Betriebsmodus, in dem die WEA nach zugelassener Abweichung in Bezug auf Schall befristet betrieben werden soll, und dem in diesem Betriebsmodus maßgeblichen Schallleistungspegel.
In jedem Fall kann jedem Anlagenbetreiber nur geraten werden, schnellstmöglich - falls noch nicht geschehen - zu prüfen, welche der von ihr/ihm realisierten Projekte von der neuen Möglichkeit des § 31k BImSchG profitieren können.