Erneut hat das Bundesverfassungsgericht mit einer wegweisenden Entscheidung den Erneuerbaren Energien den Rücken gestärkt. Mit einem am 10.11.2022 veröffentlichten Beschluss vom 27.09.2022 (1 BvR 2661/21) hat es eine Vorschrift des Thüringer Waldgesetzes (ThürWaldG) für nichtig erklärt, die sämtliche Waldflächen im Freistaat für Windenergieanlagen gesperrt hat. Was genau diese Entscheidung bedeutet, ordnet Fachanwalt Andreas Lahme ein.

I. Ausgangslage

Wer eine Windenergieanlage im Wald errichten möchte, benötigt eine sogenannte Waldumwandlungsgenehmigung. Damit wird die Erlaubnis erteilt, bisher mit Wald bestandene Bodenflächen zu roden und einer anderen Nutzung zuzuführen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob auf der betreffenden Fläche tatsächlich Bäume stehen. Vielmehr gelten auch geschädigte Waldbestände und Kahlflächen als Wald, solange dieser Status nicht durch behördliche Genehmigung aufgehoben wurde. Im Falle von Windenergieanlagen wird eine solche Waldumwandlungsgenehmigung nicht gesondert erteilt, sondern ist wegen deren Konzentrationswirkung Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Windenergieanlage.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Waldumwandlungsgenehmigung sind zum Teil in § 9 Bundeswaldgesetz (BWaldG) geregelt. Dieser räumt den Bundesländern allerdings gewisse Gestaltungsspielräume ein. Hiervon hat der Freistaat Thüringen in § 10 ThürWaldG Gebrauch gemacht. Die hier im Wege der Verfassungsbeschwerde von Eigentümern von Waldgrundstücken angegriffene Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG lautet: "Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig.“
Mit dieser Vorschrift war die Erteilung einer Waldumwandlungsgenehmigung zum Zwecke der Errichtung von Windenergieanlagen in sämtlichen Wäldern in Thüringen ausnahmslos gesetzlich ausgeschlossen.

II. Inhalt der Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt. Dem Thüringer Landesgesetzgeber fehlt danach bereits die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung. 

Die Zuordnung zum Bodenrecht ist von Bedeutung

Ob die Zuständigkeit der Gesetzgebung für eine bestimmte Materie dem Bund oder den Ländern zusteht, ist im Grundgesetz geregelt. Im hier zu entscheidenden Fall kamen zwei Kompetenztitel in Betracht, nämlich einmal das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) und das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG). Beide Zuständigkeiten fallen unter die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung. Dabei dürfen die Länder Gesetze erlassen, solange und soweit der Bund von der ihm zustehenden Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Abweichend von diesem Grundsatz räumt Art. 72 Abs. 3 GG den Ländern für bestimmte Materien der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht ein, auch dann noch – abweichende – Regelungen zu treffen, wenn der Bund von der ihm zustehenden Gesetzgebungskompetenz bereits Gebrauch gemacht hat. Dieses Abweichungsrecht gilt für den Naturschutz und die Landschaftspflege, nicht jedoch für das Bodenrecht, die Zuordnung ist deshalb durchaus von Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hatte also zu prüfen, ob das geltende Bundesrecht Raum lässt für Länderregelungen, die, wie eben hier § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG, sämtliche Waldflächen im Land für eine bestimmte Nutzungsart, nämlich die Windenergie, vollständig sperren.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Vorschrift des Thüringer Waldgesetzes dem Bodenrecht zuzuordnen ist, weil sie bodenrechtstypisch als flächenbezogene Regelung die Nutzungsfunktion von Grund und Boden regelt, indem sie die Nutzung von Waldflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen ausschließt.
Demgegenüber greift sie keinen spezifischen Schutzbedarf von in ihrer Lage konkret schutz- und entwicklungsbedürftigen Waldflächen auf. Im Kern der Regelung geht es deshalb nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht um Natur und Landschaft in ihren jeweiligen spezifischen Funktionen, sondern um die Frage, für welchen Zweck der Waldboden genutzt werden darf.

Bodenrecht und Windenergie

Das Bodenrecht hat der Bund im Baugesetzbuch abschließend geregelt, es ist dem Zugriff der Länder entzogen. In Bezug auf die Windenergie verweist das Bundesverfassungsgericht hier insbesondere auf die grundsätzliche Privilegierung im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Auch die Möglichkeit von Einschränkungen dieser Privilegierung ist im Baugesetzbuch angelegt. Das betrifft zunächst die allseits bekannte Konzentrationszonenplanung in Flächennutzungs- und Raumordnungsplänen, bei der Windenergieanlagen nur noch innerhalb der für sie ausgewiesenen Bereiche zulässig, im übrigen Planungsraum aber regelmäßig ausgeschlossen sind (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB).

Ebenfalls hierher gehören die in einigen Ländern, so auch in NRW, eingeführten Mindestabstände zu Wohnsiedlungsbereichen. Diese Landesgesetze heben die Privilegierung der Windenergie innerhalb bestimmter Mindestabstände auf und konnten nur erlassen werden, weil der Bund die Länder dazu in der sogenannten Länderöffnungsklausel des § 249 Abs. 3 BauGB ausdrücklich ermächtigt hat. Darüber hinaus räumt der Bund den Ländern nicht die Möglichkeit ein, die grundsätzliche Privilegierung der Windenergie im Außenbereich flächenmäßig zu durchbrechen. Genau dies soll mit § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG aber erreicht werden.

Kein Spielraum des §9 BWaldG für die Länder

Sodann hat das Verfassungsgericht weiter geprüft, ob die Regelung nicht möglicherweise doch von dem Spielraum, den §9 BWaldG den Ländern für Waldumwandlungsgenehmigungen einräumt, gedeckt ist. Dies ist allerdings schon deshalb nicht der Fall, weil § 9 Abs. 3 Nr. 2 BWaldG den Ländern nur das Recht einräumt, " dass die Umwandlung weiteren Einschränkungen unterworfen oder, insbesondere bei Schutz- und Erholungswald, untersagt wird". Auch wenn diese Möglichkeit, wie das Wort insbesondere“ zeigt, nicht auf den erwähnten Schutz- und Erholungswald beschränkt ist, "so wird an dem Wortlaut doch deutlich, dass es sich um Wald handeln muss, der in irgendeiner Weise besonders schutzbedürftig ist oder eine spezifische Funktion erfüllt. Eine vollständige und ausnahmslose Sperrung des Waldes für eine einzelne Nutzungsart ist hiervon nicht gedeckt.

Flächenmäßige Einschränkungen für die Windenergie durch die Länder sind demnach nur in dem Umfang zulässig, den der Bund den Ländern einräumt. In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, so das Bundesverfassungsgericht, "dass der Ausbau der Nutzung der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels leistet. Um das verfassungsrechtlich maßgebliche Klimaschutzziel zu wahren, die Erderwärmung bei deutlich unter 2,0° C, möglichst 1,5° C anzuhalten …, müssen erhebliche weitere Anstrengungen der Treibhausgasreduktion unternommen werden …, wozu insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung beitragen soll. Zugleich unterstützt dieser Ausbau die Sicherung der Energieversorgung, die derzeit besonders gefährdet ist …

Das Bundesverfassungsgericht betont den Verfassungsrang des Klimaschutzes
Vor diesem Hintergrund liegt es bei objektiver Betrachtung fern, dass das Bundesrecht auf eine zentrale Klimaschutz- und Energieversorgungsstrategie, nämlich die im Bauplanungsrecht privilegierte Zulassung der Windenergienutzung, in nennenswertem Umfang verzichten könnte, indem es … den Ländern – zumal denen mit so hohem Waldanteil wie Thüringen – erlaubte, durch landesrechtliche Umwandlungsverbote die Windenergieerzeugung auf Waldflächen vollständig auszuschließen.“ (Rn. 79). Das Bundesverfassungsgericht betont also erneut den Verfassungsrang des Klimaschutzes und knüpft hierbei unmittelbar und ausdrücklich an seinen Klimabeschluss von März 2022 an.
Ebenso ausdrücklich weist es auf die Notwendigkeit des Ausbaus der Erneuerbaren Energien im Allgemeinen und der Windenergie im Besonderen hin. Dabei verweist es auch auf den neu gefassten § 2 EEG. Diese Vorschrift "verstärkt das Gewicht der Windenergienutzung in der Abwägung nun noch weiter". Weiter zitiert es aus der Gesetzesbegründung zum neuen § 2 EEG und führt aus: "Bei gesetzlich vorgesehenen Abwägungsentscheidungen müsse allgemein das besonders hohe Gewicht der Erneuerbaren Energien berücksichtigt werden. Dieses sei im Rahmen von Abwägungsentscheidungen in verschiedenen Gebieten, aber eben auch im Forstrecht nur noch in Ausnahmefällen überwindbar". (Rn. 89).

Neben formellen gilt es inhaltliche Aspekte zu berücksichtigen

Diese Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts deuten darauf hin, dass es die verworfene Regelung des Thüringer Waldgesetzes durchaus auch inhaltlich für verfassungsrechtlich problematisch erachtet, auch wenn die Entscheidung letztlich auf den formalen Aspekt der fehlenden Gesetzgebungskompetenz gestützt wird.

III. Folgen des Beschlusses

Vordergründig betrifft die Entscheidung lediglich § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG, dessen Nichtigkeit festgestellt wurde. In Thüringen kann und muss deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob Windenergieanlagen im Wald zulässig sind. Indirekt betrifft dies sodann alle diejenigen Bundesländer, die über ähnliche Regelungen verfügen, wie z. B. Sachsen-Anhalt. Unwirksam sind landesrechtliche Verbote der Errichtung von Windenergieanlagen im Wald auch dann, wenn sie nicht in einem Landesgesetz, sondern in untergesetzlichen Regelwerken wie einer Verordnung oder einem Landesentwicklungsplan ausgesprochen wurden. Unzulässig ist danach aber nur die pauschale und ausnahmslose Sperrung sämtlicher Waldflächen für die Windenergienutzung. In Wäldern, die besonders schutzwürdig sind, eine besondere ökologische Funktion erfüllen oder auch, besonders in waldarmen Gegenden, eine besondere, landschaftsästhetische Wirkung haben, können Windräder durchaus ausgeschlossen werden.

Die Abwägung zwischen Schutzwürdigkeit des Waldes und Windenergienutzung erforderlich
Allerdings ist bei der Abwägung zwischen der Schutzwürdigkeit des Waldes einerseits und der Windenergienutzung andererseits die nun auch in § 2 EEG gesetzlich ausdrücklich hervorgehobene, überragende Bedeutung u.a. der Windenergie für die Belange des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Ein Ausschluss kommt deshalb nur im Ausnahmefall in Betracht. Es liegt deshalb nahe, der Windenergienutzung nicht nur auf den sogenannten Kalamitätsflächen, die z. B. von Sturm und Borkenkäufern nachhaltig geschädigt sind, sondern auch in mehr oder weniger intensiv genutzten Wirtschaftswäldern den Vorrang einzuräumen. Das gilt umso mehr, als für Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen stets nur eng begrenzte Flächen für Fundament, Kranstellfläche und ggf. eine notwendige Verbreiterung von Zuwegungen gerodet werden müssen. Im Übrigen bleibt der Wald in seiner Funktion für Landschaftsbild und Klimaschutz, aber auch als Lebensraum für Flora und Fauna uneingeschränkt erhalten. Die Landesregierung auch in NRW bleibt deshalb nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umso mehr aufgefordert, bei der anstehenden Änderung des Landesentwicklungsplans die Möglichkeiten für die Windenergienutzung in allen Wäldern, die nicht in besonderem Maße ökologisch schutzbedürftig sind, zu erweitern.

Ansprechpartner

Andreas Lahme

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Engemann und Partner

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