Das OLG Hamm entschied mit Urteil vom 10.06.2021 (Az. I-2 U 264/20) als erstes Obergericht zu Abrechnungsfragen zur Härtefallregelung nach dem Einspeisemanagement. Welche Konsequenzen sich hieraus für die Abrechnung ergeben können, erklärt der Fachanwalt für Insolvenzrecht Andreas Schäfermeier.
Anders als bei anderen bisher von Gerichten entschiedenen Fällen war nicht umstritten, ob die Drosselungsmaßnahme dem Einspeisemanagement unterlag oder nicht. Vielmehr stritten die Parteien darüber, ob innerhalb eines Kalenderjahres vom Pauschal- zum Spitzabrechnungsverfahren gewechselt werden könne.
Abrechnungsgrundlage für die Einspeisung von Energie aus Windparks
Die Betreiberin eines größeren Windparks (Anlagenbetreiberin) war ab dem Jahr 2016 von Maßnahmen des Einspeisemanagements im Sinne des EEG betroffen. Im Jahr 2016 und im ersten Halbjahr 2017 rechnete die Anlagenbetreiberin die Entschädigung für ihre entgangenen Einnahmen nach § 15 EEG gemäß dem Leitfaden zum Einspeisemanagement, Version 3.0 (Leitfaden) der Bundesnetzagentur (BNetzA) nach dem sog. Pauschalabrechnungsverfahren ab. Nach dem Leitfaden können die entgangenen Einnahmen bei Drosselung von Windenergieanlagen nach der Härtefallregelung nach dem sog. „Pauschalabrechnungsverfahren“ oder dem „Spitzabrechnungsverfahren“ berechnet werden.
Wie bindend ist der Leitfaden zum Einspeisemanagement der BNetzA?
Im Leitfaden ist vorgesehen, dass sich der Anlagenbetreiber je Kalenderjahr auf eines von diesen Verfahren festzulegen hat, um zu vermeiden, dass der Anlagenbetreiber für jede Einspeisemanagementmaßnahme innerhalb eines Kalenderjahres durchrechnet, welches Verfahren die höchstmögliche Entschädigung ergibt. Andererseits weist die BNetzA zu Beginn ihres Leitfadens darauf hin, dass der Leitfaden keine Festlegung darstellt und auch nicht den Charakter einer Verwaltungsvorschrift habe. Er solle keine normkonkretisierende Wirkung entfalten oder das Ermessen der BNetzA binden. Der Leitfaden diene den betroffenen Netzbetreibern, Anlagenbetreibern, Unternehmen und Bürgern als Orientierungshilfe, um eine einheitliche Anwendungspraxis zu fördern und Rechtsunsicherheiten zu vermindern.
Etwa ab Ende Oktober 2017 nahmen die Maßnahmen des Einspeisemanagements gravierend zu. Allein für die Monate November und Dezember verdreifachte sich der Regelungsumfang gegenüber den Monaten Januar bis Oktober des Jahres 2017. Zwar rechnete die Anlagenbetreiberin zunächst die Maßnahmen nach dem Einspeisemanagement weiterhin nach dem Pauschalabrechnungsverfahren ab, sie versah die weiteren Rechnungen ab Oktober 2017 indes mit dem Vorbehalt einer späteren Spitzabrechnung.
Der verpflichtete Netzbetreiber rechnete die Maßnahme des Einspeisemanagements gemäß dem Pauschalabrechnungsverfahren der BNetzA ab und zahlte entsprechend an die Anlagenbetreiberin aus. Zwischen den Parteien wurde im Rechtsreit unstreitig, dass der Anlagenbetreiberin weitere ca. 93.000,00 € Entschädigung nach der Härtefallregelung zugestanden hätten (etwa 12 % mehr als nach dem Pauschalabrechnungsverfahren), wenn sie die Maßnahmen des Einspeisemanagements im Kalenderjahr 2017 von vorneherein nach dem Spitzabrechnungsverfahren abgerechnet hätte.
Die gesetzliche Regelung
In § 15 Abs. 1 EEG 2017 ist geregelt, dass der Netzbetreiber, an dessen Netz die Anlage angeschlossen ist, die von der Maßnahme des Einspeisemanagements betroffenen Betreiber für 95 % der entgangenen Einnahmen zzgl. der zusätzlichen Aufwendungen und abzgl. der ersparten Aufwendungen zu entschädigen hat. Gem. § 15 Abs. 2 EEG kann der Netzbetreiber die Kosten dieser Härtefallregelung bei der Ermittlung der Netzentgelte in Anspruch bringen, soweit die Maßnahme erforderlich war und er sie nicht zu vertreten hat. Das Berechnungsverfahren ist in § 15 EEG nicht detailliert geregelt. Gem. § 95 Nr. 1 EEG wird die Bundesregierung allerdings ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Berechnungsverfahren für die Entschädigung nach § 15 Abs. 1 EEG zu regeln, insbesondere ein pauschaliertes Verfahren zur Ermittlung der jeweils entgangenen Einnahmen und ersparten Aufwendungen, sowie ein Nachweisverfahren für die Abrechnung im Einzelfall.
Gilt eine „faktische Bindungswirkung?“
Sowohl das Landgericht Paderborn als erste Instanz als auch das OLG Hamm als zweite Instanz wiesen die Klage der Anlagenbetreiberin nach einer weiteren Entschädigung nach dem Spitzabrechnungsverfahren gegen die Netzbetreiberin ab.
Das Landgericht Paderborn lehnte die Klage ab, weil ein unterjähriger Wechsel vom Pauschal- zum Spitzabrechnungsverfahren mit der Regelung im Leitfaden der BNetzA nicht zu vereinbaren sei. Der Leitfaden sei zwar weder eine Festlegung im Sinne von § 29 EnWG, noch eine Verwaltungsvorschrift, ihm komme „jedoch eine erhebliche faktische Bindungswirkung“ zu. Die Anlagenbetreiberin habe das Pauschalabrechnungsverfahren zur Grundlage ihrer Abrechnung gemacht, sodass sie auch nicht innerhalb eines Kalenderjahres in das Spitzabrechnungsverfahren wechseln könne.
Die gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn eingelegte Berufung wies das OLG Hamm zurück. Zwar sei der Leitfaden der BNetzA unverbindlich, insbesondere habe er keinen normkonkretisierten Charakter und sei auch keine Verwaltungsvorschrift. Hieraus ergebe sich aber lediglich, dass dem Leitfaden keine unmittelbare gesetzliche Wirkung zukomme. Der Leitfaden schließe es allerdings nicht aus, dass Anlagen- und Netzbetreiber ausdrücklich oder konkludent dessen Geltung vertraglich vereinbaren könnten. Dadurch, dass ein Anlagenbetreiber das Pauschalabrechnungsverfahren zur Grundlage seiner Abrechnungen nach der Härtefallregelung mache, mache er ein konkludentes Angebot auf Einhaltung des Leitfadens. Dieses Angebot werde seitens des Netzbetreiber angenommen, wenn er gemäß der Härtefallregelung abrechne. Aus Sicht des OLG Hamm stehe dem nicht entgegen, dass sich bei der Härtefallregelung nach § 15 EEG um ein gesetzliches Schuldverhältnis handele. Es sei den Parteien unbenommen, auch gesetzliche Schuldverhältnisse durch Vereinbarung auszugestalten.
(K)eine Vorlage für ähnlich gelagerte Fälle?
Die Urteile des Landgerichts Paderborn und des OLG Hamm überzeugen weder im Ergebnis noch mit ihren Begründungen. Zutreffend weist das OLG Hamm noch darauf hin, dass der Leitfaden der BNetzA unverbindlich ist. Für eine konkludente Vereinbarung des Leitfadens der BNetzA gibt es aber keinen Anlass, weil Abrechnungsfragen zwischen Netzbetreiber und der Anlagenbetreiberin nie umstritten waren und somit gemäß dem gesetzlichen Schuldverhältnis erfolgten. Des Weiteren hat sich das OLG Hamm mit der Frage, ob vom EEG abweichende Vereinbarungen, die bei Anlagen mit Inbetriebnahme vor dem 01.01.2017 gar nicht und bei Anlagen, die danach in Betrieb gehen, nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sind, zulässig wären, ebenfalls nicht auseinandergesetzt. In der Rechtsprechung zur Kontrolle von vorformulierten Vertragsbedingungen ist seit langem anerkannt, dass auch „rechtsergänzende“ vorformulierte Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle unterliegen. Das würde - übertragen auf das EEG - bedeuten, dass solche einschränkenden Regelungen unwirksam wären.
Handlungsempfehlung für Anlagenbetreibende
Die Fragen, wie nach Maßnahmen des Einspeisemanagements abzurechnen sein wird, wird uns auch nach der Neuregelung zum Redispatsch ab dem 01.10.2021 begleiten. Auch bei den Regelungen zum Redispatch ist nicht geregelt, in welcher Art und Weise die Abrechnung zu erfolgen hat. Anlagenbetreibern kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Landgerichts Paderborn und des OLG Hamm nur empfohlen werden, bei jeder Abrechnung nach dem Pauschalabrechnungsverfahren den Vorbehalt „Abrechnung nach dem Spitzabrechnungsverfahren bleibt vorbehalten“ zu ergänzen.
Ansprechpartner

Andreas Schäfermeier
Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Insolvenzrecht in der Kanzlei Engemann und Partner Rechtsanwälte mbB
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