Ein Gesetzentwurf der NRW Landesregierung sieht restriktivste Abstandsregeln für Windenergieanlagen vor. Warum die geplanten Vorgaben für den Windenergieausbau in Nordrhein-Westfalen zum Problem werden, erklärt Rechtsanwalt und Experte für Erneuerbare-Energien-Recht Andreas Lahme.

Seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 2017 hat die Schwarz-gelbe Koalition in NRW darauf hingearbeitet, einen Mindestabstand für Windenergieanlagen zu Wohngebäuden einzuführen. Den Windenergiegegnern hat sie seinerzeit versprochen, für Abstände von mind. 1.500 Metern zu sorgen. Allerdings musste sie bald einsehen, dass diese vollmundige Zusage kaum einzuhalten war.

So wurde zunächst lediglich eine Art Regelbeispiel in einen neuen Windenergieerlass aufgenommen, später dann der hinlänglich bekannte Grundsatz 10.2-3 in den Landesentwicklungsplan eingefügt. Dabei handelte es sich um eine Art Empfehlung für die Flächennutzungsplanung in den Gemeinden, einen Abstand von 1.500 Metern zwischen Konzentrationszonen für die Windenergienutzung und reinen sowie allgemeinen Wohngebieten vorzusehen. Verbindlich war dieser Grundsatz nie, das OVG NRW hat ihm im Rahmen eines Normenkontrollurteils beiläufig sogar jegliche Relevanz abgesprochen.

Länderöffnungsklausel als Hintertür

Die Landesregierung NRW hat sich daher bemüht, über den Bundesrat die Länderöffnungsklausel wiederzubeleben, die seinerzeit zur Einführung der 10-H-Regelung in Bayern geführt hatte. Mit ihrer erfolgreichen Initiative hat sie dafür gesorgt, dass Mitte 2020 ein neuer § 249 Abs. 3 BauGB geschaffen wurde, der den Ländern einerseits einen weiten Gestaltungsspielraum für die Einführung eines Mindestabstands zu Wohnnutzungen einräumte, diesen aber andererseits auf max. 1.000 m begrenzte.

Von dieser Möglichkeit will die Landesregierung nun Gebrauch machen und hat mit einem entsprechenden Kabinettsbeschluss am 21.12.2020 das Gesetzgebungsverfahren angestoßen. Dieser Entwurf, mit dem das BauGB-Ausführungsgesetz NRW (BauGB-AG) um einen „§ 2 - Mindestabstand für privilegierte Windenergieanlagen“ ergänzt werden soll, sieht nach seinem derzeitigen Stand folgende Regelungen vor.

Das sagt der neue Gesetzentwurf

Abs. 1 bestimmt, dass die Privilegierung von Windenergieanlagen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nur auf solche Windenergievorhaben anzuwenden ist, die „einen Mindestabstand von 1.000 m zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen (§ 30 BauGB) und innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile (§ 34 BauGB), sofern dort Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind“, einhalten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB-AG).

Nur ausnahmsweise zulässig sind Wohngebäude nur in Gewerbe- und Industriegebieten (§§ 8, 9 BauNVO), sodass Wohnhäuser in diesen beiden Gebieten nicht von der Regelung erfasst werden.

Das bedeutet, dass der Abstand von 1.000 m, gemessen vom Mastmittelpunkt der Windenergieanlage, zu jedem Wohngebäude einzuhalten ist, das in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen oder in einem faktischen Kleinsiedlungsgebiet, reinen oder allgemeinen Wohngebiet, besonderen Wohngebiet, Dorfgebiet, Mischgebiet, urbanen Gebiet oder Kerngebiet (§§ 2-7 BauNVO) liegt. Das soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs sogar für Gebäude gelten, die noch gar nicht existieren, sondern erst künftig errichtet werden können.

Zusammenhängende Bebauung? Auslegungssache

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB-AG weitet den Anwendungsbereich der Mindestabstandsregelung dann auf solche Wohngebäude aus, die „in zulässigerweise errichteter zusammenhängender Bebauung mit mindestens zehn Wohngebäuden im Außenbereich (§ 35 BauGB)“ liegen.

Diese Klausel ist in mehrfacher Hinsicht höchst problematisch. So werden sich mit dem verwendeten Begriff der „zusammenhängenden Bebauung“ zahlreiche Probleme in der Praxis ergeben.

Nach vorläufiger Einschätzung erscheint jedenfalls eine Auslegung des Tatbestandes dahingehend naheliegend, dass es für die Unzulässigkeit eines Windenergievorhabens bereits ausreicht, wenn der Mindestabstand von 1.000 m zu nur einem Wohngebäude unterschritten wird, sofern dieses Wohngebäude einen Bebauungszusammenhang mit mindestens neun weiteren Wohngebäuden aufweist, auch wenn diese in größerer Entfernung als 1.000 m zur Windenergieanlage liegen.
Je nach Auslegung soll es auch ausreichen, dass der Bebauungszusammenhang durch Gebäude vermittelt wird, die selbst keine Wohngebäude sind. Wichtig ist, dass die genannten zehn Wohngebäude bereits vorhanden sein müssen. Ob dies auch für das ggf. abstandsauslösende Wohngebäude gilt, wenn dieses z.B. als 11. oder 12. Wohngebäude in einer „Baulücke“ innerhalb des vorhandenen Bebauungszusammenhangs erst noch hinzugebaut werden könnte, erscheint hingegen fraglich.

Eingriff in bestehende Flächennutzungspläne

Ebenfalls sehr problematisch erscheint die vorgesehene Regelung des § 2 Abs. 2 BauGB-AG. Damit würde in bestehende oder innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes noch wirksam werdende Flächennutzungspläne mit Konzentrationszonen für die Windenergienutzung eingegriffen.

Für die darin dargestellten Konzentrationszonen soll ein Mindestabstand vom 3-fachen der Anlagenhöhe gelten, wobei jedoch 1.000 m nicht überschritten und 720 m nicht unterschritten werden dürfen. Die Obergrenze von 1.000 m würde in diesem Fall also nur für solche Windenergieanlagen greifen, die mehr als 333 m Gesamthöhe aufwiesen. Dieses Maß ist also derzeit und in absehbarer Zukunft nicht relevant.

Von wesentlich größerer Bedeutung wird der Mindestabstand von 720 m sein. Diese Untergrenze greift für alle Anlagen mit einer Gesamthöhe von weniger als 240 m. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere auch für betroffene Kommunen, dass nachträglich in deren gesamträumliches Planungskonzept eingegriffen wird, indem bestehende Konzentrationszonen ggf. faktisch verkleinert werden. Es erscheint derzeit noch nicht absehbar, welche Auswirkungen dies auf die Wirksamkeit eines solchen Gesamtkonzepts und damit auf die Wirksamkeit der Flächennutzungsplanung insgesamt haben wird.

Datum des Genehmigungsantrags ist entscheidend

All diese Mindestabstandsregelungen sollen keine Geltung haben für solche Projekte, für die vor dem 21.12.2020, dem Tag des Kabinettsbeschlusses, ein vollständiger Genehmigungsantrag bei der zuständigen Behörde eingereicht wurde. Es wäre deshalb empfehlenswert, sich bei der Genehmigungsbehörde um eine entsprechende schriftliche Bestätigung zu bemühen.
Wichtig ist, dass diese Ausnahme nur für Genehmigungsanträge gelten soll, nicht jedoch für Anträge auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids. Bereits erteilte Vorbescheide müssten sich allerdings als vorweggenommener Teil der Genehmigung jedenfalls dann gegenüber der späteren Änderung der Rechtslage durchsetzen, wenn der Standort der Windenergieanlage und dessen bauplanungsrechtliche Beurteilung nicht nur über die positive Gesamtprognose vom Regelungsgehalt des Vorbescheids erfasst ist.

Ebenfalls vom Anwendungsbereich der Mindestabstandsregelung ausgenommen sollen Windenergieanlagen sein, die zwar noch nicht errichtet, wohl aber bereits genehmigt waren oder für die ein vollständiger Genehmigungsantrag vorlag auch dann, wenn die Anlage am selben Standort mit gleicher oder geringfügig höherer oder niedrigerer Höhe errichtet werden soll.

Der Kabinettsbeschluss schweigt sich dazu aus, in welchen Fällen eine Höhenabweichung „geringfügig“ sein soll. Und ist es noch „derselbe“ Standort, wenn zum Beispiel geringfügige Erhöhung der Anlage dazu führt, den Mast ebenfalls geringfügig zu verschieben, beispielsweise um die Abstandsflächen einzuhalten?

Praktische Probleme vorprogrammiert – Rechtsunsicherheit bleibt

Es ist zu erwarten, dass sich zahlreiche praktische Probleme der gesetzlichen Formulierungen erst zeigen, wenn es an die praktische Anwendung geht. Schon jetzt dürfte auf der Hand liegen, dass der Windenergieausbau in NRW mit dieser Regelung ganz erheblich erschwert und ausgebremst wird.

Auch wird mit diesem Gesetzentwurf eine rechtssichere und klare Regelung nicht erreicht. Die Verunsicherung ist schon jetzt groß. Das gilt sowohl für Planer und Projektierer als auch für betroffene Kommunen. Zudem sind Änderungen am Gesetzentwurf durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Es wird deshalb erforderlich sein, das Gesetzgebungsverfahren nicht nur aufmerksam zu beobachten, sondern nach Möglichkeit auch zu beeinflussen, um das Schlimmste zu verhindern.

Ansprechpartner

Andreas Lahme

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Engemann und Partner

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