Das OVG Münster äußert sich in seinem aktuellen Urteil zu mehreren Fragestellungen, die im Rahmen der Genehmigung von Windenergieanlagen von erheblicher Bedeutung sind. So erläutert es u.a. den Windfarmbegriff und beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Größenordnung Schallvorbelastungen von Altanlagen in Immissionsschutzprognosen zu berücksichtigen sind. Die Aussagen des OVG Münster gehen weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus und bieten einige praktische Hilfestellungen.

Das OVG Münster hatte mit Urteil vom 05.10.2020 – 8 A 894/17 – über die Rechtmäßigkeit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage zu entscheiden, die durch einen Nachbarn gerichtlich angegriffen worden war.

Nachdem das Verwaltungsgericht Minden dem Kläger in der ersten Instanz Recht gegeben und die immissionsschutzrechtliche Genehmigung aufgehoben hatte, änderte das OVG Münster die erstinstanzliche Entscheidung und stellte nunmehr fest, dass die Genehmigung rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze.

In dem Verfahren ging es um tatsächliche und rechtliche Fragestellungen aus dem Bereich des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sowie im Zusammenhang mit Schallimmissionen und der Thematik der optisch bedrängenden Wirkung.

Erfreulicherweise hat sich das OVG Münster hinsichtlich verschiedener Punkte deutlich positioniert, sodass das Urteil einige wichtige Leitplanken für den Umgang mit unterschiedlichen Problembereichen in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen enthält.

Windfarm und funktionaler Zusammenhang

Für den durch entschiedenen Sachverhalt kam es maßgeblich auf die Frage an, wie groß die dort zu betrachtende Windfarm war. Denn hiervon hing ab, ob es der Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung (6 bis weniger als 20 WEA) oder lediglich einer standortbezogenen Vorprüfung (3 bis weniger als 6 WEA) nach dem UVPG bedurfte.

Das OVG hat sich vor diesem Hintergrund intensiv mit der neuen Windfarmdefinition in § 2 Abs. 5 UVPG beschäftigt. Demnach sind Windfarmen im Sinne dieses Gesetzes drei oder mehr Windenergieanlagen, deren Einwirkungsbereich sich überschneidet und die in einem funktionalen Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sie von einem oder mehreren Vorhabenträgern errichtet und betrieben werden. Ein funktionaler Zusammenhang wird gemäß der genannten Vorschrift insbesondere angenommen, wenn sich die Windenergieanlagen in derselben Konzentrationszone befinden.

In dem entschiedenen Sachverhalt befand sich die streitgegenständliche Anlage in unmittelbarer Nähe zu drei weiteren Windenergieanlagen sowie in einem Abstand von mindestens 1,5 km zu elf weiteren Anlagen, die dort schon deutlich länger existierten. Das OVG Münster hatte festzustellen, ob diese insgesamt 15 Windenergieanlagen eine gemeinsame Windfarm bildeten, weil dann die Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung nach dem UVPG erforderlich gewesen wäre.

Da unstreitig war, dass sämtliche Anlagen zumindest in schalltechnischer Hinsicht einen gemeinsamen Einwirkungsbereich hatten, kam es maßgeblich auf die Frage eines möglichen funktionalen Zusammenhangs der Anlagen an.

Diesen verneinte das OVG und erläuterte, dass sich der Begriff des funktionalen Zusammenhangs zwischen Windenergieanlagen ausweislich der Gesetzesbegründung nach ähnlichen Kriterien wie der funktionale und wirtschaftliche Zusammenhang bei der Kumulation von Vorhaben (§ 10 Abs. 4 UVPG) bestimme.

Dementsprechend genüge es nicht, wenn verschiedene Vorhaben lediglich beziehungslos und gleichsam zufällig nebeneinander verwirklicht werden; vielmehr könne sich ein funktionaler Zusammenhang aus einem Mindestmaß an technischer, organisatorischer, betriebswirtschaftlicher und steuerlicher Koordination ergeben. Dafür genüge ein gemeinsamer Netzanschluss über dasselbe Umspannwerk nicht. Auch die (teilweise) Betreiberidentität begründe als solche keinen funktionalen Zusammenhang, da § 2 Abs. 5 S. 1 UVPG ja gerade klarstelle, dass der funktionale Zusammenhang zwischen Windenergieanlagen „unabhängig davon, ob sie von einem oder mehreren Vorhabenträgern errichtet und betrieben werden“, zu bestimmen sei. Das maßgebliche Abstellen des deutschen Gesetzgebers auf das Vorliegen eines funktionalen Zusammenhangs verstößt nach den Worten des OVG Münster nicht gegen das Unionsrecht.

Höhere Anforderungen zur Windfarm

Das OVG hat damit Leitlinien festgelegt, die verdeutlichen, dass an das Vorliegen einer Windfarm, nach aktueller Rechtslage der Sache, höhere Anforderungen als bisher gestellt werden. Zwar lässt sich anhand des aktuellen Urteils nicht für jeden Einzelfall vorhersagen, ob ein funktionaler Zusammenhang zwischen mehreren Windenergieanlagen vorliegt.

Es wird aber deutlich, dass besondere Umstände gegeben sein müssen, die ein planerisches und koordinierendes Vorgehen belegen, damit im Ergebnis von einer gemeinsamen Windfarm ausgegangen werden kann. Wurde die Windfarm in Genehmigungsverfahren bislang oftmals sehr weiträumig abgegrenzt, um möglichst keinen Fehler zu machen, so wird aufgrund der aktuellen Entscheidung des OVG Münster zukünftig wohl oftmals eine deutlich kleinere Abgrenzung der Windfarm möglich sein.

Rückwirkende Anwendung als Windfarm möglich

Interessant ist des Weiteren, dass das OVG Münster in seinem aktuellen Urteil eine rückwirkende Anwendung dieses engeren Windfarmbegriffs zugunsten des dortigen Vorhabenträgers anerkannt hat. So gilt bei gegen Windenergieanlagen gerichteten Drittanfechtungsklagen zwar zunächst der Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist.

Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten des Anlagenbetreibers sind allerdings gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 26.09.2019 – 7 C 5.18 – zu berücksichtigen. Dies gilt laut OVG Münster ausdrücklich auch für die Frage, ob und ggf. welche Art von UVP-Vorprüfung durchzuführen ist. Vorliegend hat das OVG Münster also zugunsten des Anlagenbetreibers im Nachhinein die einschränkende Windfarmdefinition des § 2 Abs. 5 UVPG angewendet.

Das führte letztlich dazu, dass nur noch eine standortbezogene Vorprüfung erforderlich war. Da eine solche nach Rechtsprechung des BVerwG gerade keine artenschutzrechtlichen Belange zu berücksichtigen hat, konnte das OVG im Ergebnis artenschutzrechtliche Fragestellungen dahingestellt sein lassen.

Berücksichtigung der Schallvorbelastung von Bestandsanlagen

Das OVG Münster hatte sich außerdem mit der Frage zu beschäftigen, in welcher Größenordnung Schallimmissionen bereits bestehender Windenergieanlagen als Vorbelastung zu berücksichtigen sind. Es stellt ausdrücklich fest, dass Vorbelastungsanlagen nur mit den Auswirkungen ihres rechtmäßigen Betriebs – also den in ihrer Genehmigung ggf. festgelegten Schallleistungspegeln – in die Ermittlung der Gesamtbelastung einzustellen sind.

In dem vorliegenden Fall hatte der Schallgutachter Sicherheitszuschläge auf die in den damaligen Genehmigungen festgelegten maximalen Schallleistungspegel aufgeschlagen und gelangte damit zu einer deutlich konservativeren Abschätzung. Nach den Feststellungen des OVG steht aber nunmehr fest, dass diese Vorgehensweise zu weit geht, da stets nur die in der jeweiligen Genehmigung festgeschrieben maximalen Schallleistungspegel als Vorbelastung zu berücksichtigen sind.

Spannend sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des OVG zu der Thematik der sog. Stall-Anlagen. Diese heute auf dem Markt nicht mehr verfügbaren Windenergieanlagen zeichnen sich dadurch aus, dass der von ihnen verursachte Schall auch nach Erreichen der Nennleistung stetig weiter ansteigt (sog. Stall-Effekt). Vor diesem Hintergrund war in der Vergangenheit umstritten, in welcher Größenordnung stall-gesteuerte Windenergieanlagen als Schallvorbelastung zu berücksichtigen sind.

Das OVG Münster hatte vorliegend über zwei Stall- Windenergieanlagen zu entscheiden, in deren Baugenehmigungen jeweils ein immissionsrelevanter Schallleistungspegel LWA 8 m/s festgeschrieben worden war. Es stellt nunmehr fest, dass die betreffenden Genehmigungen nicht nur einen Schallleistungspegel bei einer Windgeschwindigkeit von 8 m/s, sondern den rechtlich zulässigen Schallleistungspegel insgesamt regeln.

So sei im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung eine Angabe des Schallleistungspegels nur bis zu einer Windgeschwindigkeit von 8 m/s üblich gewesen; dies ändere aber nichts daran, dass der festgeschriebene Schallleistungspegel sich nicht nur auf Windgeschwindigkeiten bis zu 8 m/s erstrecke, sondern insgesamt als Begrenzung des maximal zulässigen Schallleistungspegels zu verstehen sei.

Diese detaillierten Ausführungen des OVG Münster helfen in solchen Situationen weiter, in denen alte Stall-Anlagen bislang die Errichtung zusätzlicher Windenergieanlagen aus Schallgründen ausgeschlossen haben, weil Behörden oftmals davon ausgegangen waren, dass immens hohe Schallleistungspegel von bis zu 120 dB(A) für solche Anlagen anzusetzen seien.

Diese Auffassung ist vor dem Hintergrund des aktuellen Urteils des OVG Münster jedenfalls dann nicht mehr vertretbar, wenn die betreffende Altgenehmigung einen festgeschriebenen Schallleistungspegel enthält. Ungelöst bleiben aber diejenigen Fallkonstellationen, in denen sich in der Altgenehmigung gerade kein Schallleistungspegel finden lässt. Dieses Problem wird sich aber voraussichtlich in einigen Jahren von selbst erledigen, weil die betreffenden Anlagen dann ihre Altersgrenze erreicht haben und außer Betrieb genommen werden dürften.

Weitere spannende Ausführungen

Das Urteil vom 5. Oktober enthält überdies weitere spannende Ausführungen zu den Themenbereichen Bauen im Landschaftsschutzgebiet, Verfahrensfehler nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz und zu zahlreichen spezifischen Schallfragen (Bodendämpfung, Inversionswetterlagen, Amplitudenmodulation, Infraschall), die im Rahmen dieses Beitrags leider nicht mehr erläutert werden können.

Eine Lektüre des Urteils sei aber jedem Betreiber ans Herz gelegt. Denn das Urteil des OVG Münster erweist sich als wahre Fundgrube hilfreicher Argumentationsmöglichkeiten zu unterschiedlichen technischen und rechtlichen Fragestellungen. Es verdeutlicht, dass die Hürden für gegen Windenergieanlagen-Genehmigungen gerichtete Drittanfechtungsklagen von Privatpersonen nach wie vor hoch sind.

Ansprechpartner

Dr. Oliver Frank

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Engemann und Partner Rechtsanwälte mbB

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